Christopher Amrhein
Kindheit
Geboren und einen Teil seiner frühen Kindheit verbrachte Christopher mit seinen Eltern Helena Amrhein und Franz Amrhein in München.
Danach zogen sie nach Marburg an der Lahn.
Franz Amrhein war ein Musiker, Lehrer und Wissenschaftler, sammelte musikalische und musikpädagogische Erfahrungen im Umgang mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen.
Im Alter von nur 64 Jahren erkrankte er an ALS und lebte mit dieser Krankheit noch weitere 12 Jahre. In dieser Zeit, erstellte Franz eine Website, in der er seine Arbeit aber auch sein Leben mit der Erkrankung mit der Öffentlichkeit teilt. www.franz-amrhein.de
Die ersten nachhaltigen Eindrücke von singenden Stimmen bekam Christopher in einem Alter von 2-4 Jahren aus der Kirche. Sein Vater war Organist und Christopher durfte neben ihm auf der Orgelbank sitzen. Weder seine Hände und Füße noch seinen ganzen Körper durfte er dabei bewegen, sondern musste ganz still sitzen bleiben.
Sogar das Singen musste er sich verkneifen, denn sobald er mitsang, schauten alle Leute hin zu ihm, weil er offenbar etwas anderes sang, als im Gesangsbuch stand. Auch die Bewegung der Gläubigen beschränkte sich auf das Öffnen und Schließen des Mundes.
In der Schule begann jeder Schultag folgendermaßen: bei Eintritt der Lehrerin mussten sie aufspringen und in gerader Haltung stehen. Die Lehrerin ging an das Harmonium, intonierte ein Lied, das sie singen mussten. Die äußere Bewegung bestand - neben der Bewegung der Stimm-Muskeln - im Aufstehen vor und Hinsetzen nach dem Singen.
Die innere Bewegung bestand aus der Angst alles richtig zu singen. Darin erschöpfte sich auch der Musikunterricht in dem Schuljahr. Das Singen in allen geschilderten Situationen war gekennzeichnet dadurch, dass es ohne Beteiligung des Körpers vor sich ging, da die Bewegung unterdrückt werden musste. Auch innerliche Bewegtheit wurde nicht zugelassen, weil es den Gesamtklang des Klassen- bzw. Chorgesangs gestört hätte.
Was diese Situationen angingen, konnte Christopher sich nicht an ein besonderes Gefühl zu seiner Stimme erinnern. Er hatte halt nur funktioniert.
Kinderlieder & Musicals
Eine neue Art des Umgangs mit der Stimme erfuhr Christopher im Alter von etwa 10 Jahren durch die Lieder von Christiane und Frederik. Diese Lieder forderten geradezu zu vielfältigen Bewegungen heraus: der Inhalt (die Rübe, die herausgezogen wird; der Hase, der vor dem Jäger davonläuft usw.) wurde szenisch dargestellt, die Lieder wurden mit Klatschen, Stampfen, Patschen usw. rhythmisch begleitet oder mit Gesten und Gebärden ausgeschmückt. Text und Melodie ließen Freiheit für eigene Gestaltungen, forderten diese sogar heraus.
Die Texte waren leicht nachvollziehbar und handelten nicht nur vom Bauern, der das Rösslein einspannt, sondern bezogen sich auch auf die Realität (z.B. Schulalltag, Elternhaus, Ausländerproblematik, Arbeitswelt der Eltern und Kindergefühle). Durch ihren rhythmischen Pfiff wurde Christopher von diesen Liedern in ganz anderer Weise angesprochen als von den bisher gewohnten Liedern.
Er bekam ein neues Verhältnis zu seiner Stimme: die Freiheit der Bewegung und der rhythmischen Begleitung. Die innere Bewegtheit durch die ansprechenden Texte und Inhalte sowie die Erfahrung, dass das Singen nicht nur auf ein Belcanto-Ideal, sondern auf die eigenen Gefühle ausgerichtet ist. Dies führte zu einer ersten Identifikation mit seiner Stimme.
Junger Erwachsener
Klassischer Gesangsunterricht, Sprechen & Logopädie
Im 23. Lebensjahr lernte Christopher in seinem ersten klassischen Gesangsunterricht eine neue Dimension seiner Stimme kennen. Zuerst musste er lernen, mit der äußeren Bewegung innezuhalten. Es ging vor allem um Beherrschung und "Kanalisierung" der Stimme: Atemdosierung, Stütze, Vokal- und Registerausgleich, Ansatz, Artikulation, Phrasierung, Gesang nach Noten usw. Bei dieser Art des Singens lernte er die äußere Bewegung immer mehr zu einer inneren umzuformen.
Er wurde sich seiner Stimme und ihrer Möglichkeiten bewusst, lernte die Grenzen des Stimmumfangs, des Atemvolumens, der Dynamik kennen und lernte sie ausdrucksvoll zu gestalten. Diese neuen Gesangstechniken ließen sich mit seinen bisherigen Stimmgewohnheiten nicht ohne weiteres vereinbaren.
Das Gleichgewicht, in dem er sich bisher mit seiner Stimme befand, wurde gestört, er wurde verunsichert und es dauerte mehrere Jahre, bis es ihm gelang, alle bisher gemachten Erfahrungen im Umgang mit seiner Stimme zu integrieren. Das 8-semestrige Gesangstudium bei Peter Doss hat zu dieser Integration ganz wesentlich beigetragen.
links Christopher mit tänzerischer Einlage
Erwachsener
rechts Christopher mit E-Gitarre und weißen Gewand
Rockmusik – On stage
Die Rockmusik bedeutete für ihn zunächst die Vollkommenheit all der Ideale und Freiheiten, die er an den Kinderliedern mochte. Die ersten stimmlichen Erfahrungen bestanden im lauthalsen Mitgrölen der einfachen Texte während sich sein Körper ekstatisch bewegte.
Was die Ausdrucksmöglichkeiten und die Lautstärke betraf, gab es keine Grenzen bis auf die Stimmbänder, die mit Heiserkeit antworteten - wobei ein unkonventioneller Gesangslehrer wertvolle Hilfe leistete - um nicht nach 3 Songs bei der Heiserkeit angelangt zu sein. Wesentlich für die Identifikation mit der Stimme waren das Allmacht-Gefühl durch die Lautstärke, der Einbezug des ganzen Körpers sowie die Identifikation mit "Sound" und Inhalt des Gesungenen.
Schnell entstand der Wunsch, durch eigene Produktionen die Identifikation zu verstärken.
Die "Freiheit", von der bisher die Rede war, erwies sich jedoch insofern als Sackgasse, als gerade die kommerzielle Rockmusik, unter deren Einfluss die Jugendlichen standen, von den musikalischen Ausdrucksmitteln eingeschränkt und deren individuellen Ausdrucksbedürfnissen keinen Raum gab. So musste er sich auf die Suche nach weiteren Möglichkeiten begeben.
In dem zweijährigen Rockprojekt "Chrisbrei und die Orff-Beats" mit Salzburger Mitstudenten fand er neue Möglichkeiten in einer Mischung von Rock, Afro, Jazz und Bewegung.
Experimenteller Gesang
Schon in früher Kindheit wurde Christopher durch seinen Vater, der sich intensiv mit neuer Vokalmusik beschäftigte, zu vielerlei Experimenten, Klang-, Artikulations- und Sprechspielen angeregt. Der Spaß an "nonsemantischem" Singen und Sprechen begleitete Christopher durch alle Stationen seiner Stimmerfahrung. In der Zusammenarbeit mit Klaus Arger ("11 und") und dem Ensemble Lopidre, mit Helmi Vent (Tischreden) sowie mit Werner Raditschnig (Kaponik) konnte er an diese frühen Erfahrungen anknüpfen und in diesen Experimenten alle ihm zur Verfügung stehenden "Techniken" integrieren.
Obertongesang
In seinem 19. Lebensjahr hörte Christopher zum ersten Mal Obertongesang, der ihn sofort ansprach und verzauberte. Seitdem bemühte er sich, die Obertontechnik (aus Indien und der Mongolei) und die Untertontechnik (aus Tibet) immer besser zu erlernen. Als Obertonsänger, Leiter des Salzburger Obertonchors "Prisma" sowie als Leiter von Oberton-Workshops ist der Obertongesang ein wesentlicher Teil seiner Arbeit als Musiker und Pädagoge geworden. Der Obertongesang, der die feinsten unsichtbaren Bewegungsnuancen der Stimmorgane erfordert, bedeutet für ihn die Spitze von innerer Bewegung und Bewegtheit.